We all dance to a mysterious tune

Everything is determined, the beginning as well as the end, by forces over which we have no control. It is determined for the insect, as well as for the star. Human beings, vegetables, or cosmic dust, we all dance to a mysterious tune, intoned in the distance by an invisible piper.

Albert Einstein

Alles wird bestimmt, vom Anfang an bis zum Ende, durch Kräfte, über die wir keine Kontrolle haben. Sie bestimmen das Insekt genauso wie den Stern. Menschen, Gemüse oder kosmischer Staub, alles tanzt zu einer mysteriösen Melodie, aus der Ferne intoniert durch einen unsichtbaren Flötenspieler.

Der Doppelgänger

In jenem früheren Traum befand ich mich auf der Wanderschaft. Auf einer kleinen Straße ging ich durch eine hügelige Landschaft, die Sonne schien, und ich hatte einen weiten Ausblick ringsum. Da kam ich an eine kleine Wegkapelle. Die Tür war angelehnt, und ich ging hinein. Zu meinem Erstaunen befand sich auf dem Altar kein Muttergottesbild und auch kein Kruzifix, sondern nur ein Arrangement aus herrlichen Blumen. Dann aber sah ich, daß vor dem Altar, auf dem Boden, mir zugewandt, ein Yogin saß - im Lotus-Sitz und in tiefer Versenkung. Als ich ihn näher anschaute, erkannte ich, daß er mein Gesicht hatte. Ich erschrak zutiefst und erwachte an dem Gedanken: Ach so, das ist der, der mich meditiert. Er hat einen Traum, und das bin ich. Ich wußte, daß, wenn er aufwacht, ich nicht mehr sein werde.

Aus C.G. Jung Erinnerungen, Träume, Gedanken

Don Juan (Lehrer und Schamane in Castaneda "Der Ring der Kraft") bezeichnet die Entwicklung eines Doppelgängers als Anhalten der Welt, als Heraustreten aus unserer Identität. Er sagt, unser gewöhnliches Selbst träume den Doppelgänger. Hätten wir aber einmal gelernt, den Doppelgänger zu träumen, kehrten die Dinge sich um, und wir könnten erkennen, daß in Wirklichkeit der Doppelgänger das Selbst träume; wir selbst seien ein Traum, weil der Doppelgänger uns träume, genauso wie wir normalerweise meinen, wir hätten ihn geträumt.

Normalerweise identifizieren wir uns mit unserem alltäglichen Selbst, unserem primären Prozeß, weil unsere persönliche Geschichte und unsere Identität wichtig für uns sind. Aber je besser wir auch die sekundären Prozesse wahrnehmen, um so eher sind wir fähig, unsere normale Identität anzuhalten. Wenn wir das tun, wird unser Traum­körper zu unserer grundlegenden Realität, die unsere normale Welt aufzuträumen scheint, um sich selbst zu verwirklichen.

Wir wissen, daß unser Traumkörper oder unser Doppelgänger wirklich das erzeugt, was wir als gewöhnliches Leben erfahren, wie z. B. Störungen und Körpersymptome, weil wir Probleme aufträu­men, wenn es uns langweilig ist. Wir haben keine andere Möglichkeit, um zu zeigen, wer wir sind, als die, uns selbst zu irritieren und durch ein gewöhnliches Alltagsleben einzuschränken.

Jung erklärt, daß sein Traum „das Unbewußte als Erzeuger der empirischen Person" darstelle. Er sagt, sein Traum zeige eine Um­kehrung der Wirklichkeit. Statt das Leben vom Standpunkt der nor­malen Identität, des Ego, zu sehen, zeigt dieser Traum vielmehr, daß das Ego der Traum des Unbewußten sei. Weiter sagt er, daß „... unsere unbewußte Existenz die wirkliche ist und unsere Bewußtseinswelt eine Art Illusion oder eine scheinbare, zu einem bestimmten Zweck hergestellte Wirklichkeit darstellt, etwa wie ein Traum, der auch so lange Wirklichkeit zu sein scheint, als man sich darin befindet... Die unbewußte Ganzheit erscheint mir daher als der eigentliche Spi­ritus rector alles biologischen und psychischen Geschehens.“

Der spiritus rector, der führende Geist im Leben, ist das, was wir sind, wenn wir uns mit dem sekundären Prozeß identifizieren und in ihn hineingehen. Dann sind wir unser Doppelgänger, der Traummacher, das körperliche Leben und die unkontrollierbaren Ereignisse der Welt. Jungs Spiritus rector, unser Traumkörper und der Doppelgänger des Schamanen, haben die Welt, in der wir alle leben, aufgeträumt.

Aus: Arnold Mindell The Shaman`s Body

 

Primärer Prozeß: alles, was mit unserer persönlichen Identität ver­bunden ist.

Sekundärer Prozeß: Erfahrungen, die wir als nicht zu unserer persön­lichen Identität gehörend empfinden. Wir nehmen sie in passiver Weise oder als Emotionen oder Erfahrungen wahr, mit denen wir uns nur sehr schwer identifizieren können, zum Beispiel Wut, Neid, Angst, Macht oder Numinosität.

Doppelgänger: Abbild unseres ganzheitlichen Selbst, unserer essen­tiellen, aber nicht integrierten Natur. Dieser nicht integrierte, häufig unerwünschte Teil zeigt sich nach außen in Doppelsignalen, einem Verhalten, mit dem wir uns nicht identifizieren. Es verwirrt unsere Mitmenschen, weil es doppeldeutig ist - sie werden aufgeträumt. Wir verwirklichen unseren Doppelgänger, wenn wir bewußt Verant­wortung für unsere sekundären Prozesse übernehmen.

Doppelsignale: Sprach- und Körpersignale, mit denen sich der Sen­der nicht identifiziert. Diese Signale sind mit einem sekundären Pro­zeß verbunden.

Aufträumen: Ein Phänomen, welches auftritt, wenn ein Doppelsignal in einer anderen Person Reaktionen hervorruft. Der Ausdruck kommt von der empirischen Wahrnehmung, daß die Reaktion dieser anderen Person immer in den Träumen der Person vorkommt, welche die Doppelsignale aussendet (die Reaktion ist sozusagen „aufge­träumt").

Unser Hund, dieser Wirklichkeitsbegleiter

Fujifilm X-T2,  XF 35 F2 (55mm KB)

Die Fähigkeit eines Hundes, ganz er selbst zu sein, ist die gleiche Fähigkeit wie die einer Mohnblume, die ihre im Frühsommer fast durchsichtigen Kelchblätter über dem haarigen Stiel hervortreibt, und sei es aus einer winzigen Spalte im Gehsteigpflaster. Die Kulturwissenschaftlerin Hildegard Kurt nennt solche Momente, in denen es uns gelingt, mit unseren Bedürfnissen in Kontakt zu treten, nicht mit dem, was von uns verlangt wird und was wir dann gehorsam selbst von uns verlangen, „Blühphänomen“. Wenn es uns gelingt, echt zu sein, blühen wir, und sei dieses Echtsein ein Echtsein im Schmerz. Auch der Schmerz, die echte Trauer, die echte Wehmut sind Blüten, weil sie uns real sein lassen.

Unser Hund, dieser Wirklichkeitsbegleiter, der nicht anders kann und nicht anders will, als ganz echt zu sein, ist für uns somit beständig Blüte. Er oder sie erinnert uns daran, dass wir auch blühen können: Jedes Mal, wenn er uns begrüßt, wenn er über etwas, das wir teilen, beglückt ist, wenn er gedankenlos zum Playbow mit wedelndem Schweif und nach vorn gedrücktem Oberkörper ansetzt, ist das eine Aufforderung zum Blühen.

Das Geheimnis der „tiergestützten Therapie“ besteht darin, uns Menschen zu erinnern, dass wir blühen können, das heißt, dass wir echt sein können, dass es ein Fühlen in uns gibt, das weiß, was uns lebendig macht und was nicht, wenn wir es uns nur gestatten, uns damit zu verbinden. Wenn wir das Gefühl haben, dass uns ein Tier respektiert, dann ist es in Wahrheit das: Es erlaubt uns zu blühen, weil wir sein dürfen. Und umgekehrt gilt: Wenn wir unser Tier respektieren, dann erlauben wir ihm das Blühen.

Respekt kann nur etwas Gegenseitiges sein. Respekt kann nur die Anerkenntnis der Echtheit des Anderen sein: Das Ihn-sein-Lassen, das dazu führt, dass er sein kann und sein darf. Erziehung wäre dann nichts anderes als das: zum Sein einzuladen. Und diese Einladung auszusprechen, heißt zu wünschen, dass der andere blühe. Wie sehr haben wir uns diese Einladung immer wieder von anderen Menschen gewünscht. Und allzu oft sprechen sie das Gegenteil aus, durch zusammengepresste Lippen, durch Geschrei, durch Verweis auf die Hausordnung: Sei nicht!

Sowohl Hunde als auch Menschen haben ein angeborenes Bedürfnis, den Anderen Raum zu lassen und deren Wohlergehen zu fordern. Wir sind zutiefst soziale Wesen. Wir sind zahm, und das heißt: Wir haben eine Intuition dafür, dass das Blühen des Anderen eine Voraussetzung des eigenen ist. Respekt lehren heißt unter einer solchen Perspektive allein, Stopp zu sagen, wenn die eigenen vitalen Bedürfnisse verletzt werden. Und das ist nichts anderes, als eben auch sich selbst das Sein zu erlauben.

Darin besteht, wie alle wissen, die das schon einmal versucht haben, die ganz hohe Schule. Uns allen fällt es etwas leichter, sie zu absolvieren, wenn wir einen Vierbeiner an unserer Seite haben. Der Hund ruft uns zu: Sei! Sei, wie ich auch sein kann! Sei, gemeinsam mit mir!

von ANDREAS WEBER, Biologe, Philosoph und Autor. Er lebt mit Pudelmischling Erbse als bester Freundin zusammen. Derzeit schreibt Weber an seinem neuen Buch, „Sein und Teilen“, das im März 2017 im Verlag transcript erscheint.

aus: DOGS Heft 6 / 2016 RESPEKT!