Nur Heilige können sie zählen

Herbst
nistet
in meinem Herzen

Blätter
fallen
von meiner Seele

Ein Lichtschein
legt sich
um meine Füsse

Nur Heilige können
sie zählen

Die gefallenen Blätter
meines Lebens

Die toten
Begegnungen

Die verstorbenen
Augenblicke

Die gebrochenen
Umarmungen

Die verbluteten
Liebschaften

Nur Heilige können
sie zählen

Die Gräber
meiner Beziehungen

Die Taube

Für Birgit

Hinter verschmutzter Fensterscheibe
wartet der Himmel
weiss wie Kalk

Auf dem scheebesetzten Dachfirst
lässt sich eine Taube nieder

Meine Liebe ging verloren
gestern

Da fliegt der Täuberich zur Taube
und tanzt zum Gesang der Stille

Die Illusionen sind zerfallen
und aus Staub gebaut ist das Haus

Abgrundtief kreuzt ein Schiff
im Himmel

Blauer Trauerstaub verstaubt
meine Seele

Wie vergeblich ist es doch
das verstaubte Staubbeutelfach
des ATEMA 2009 BST
mit dem ATEMA 2009 BST
zu staubsaugen

Deshalb nimm den Staub
und male in den Himmel

Eine Taube in Ultramarinblau

Genau in dem Moment
da sie flattert

Aus der schmerzhaft
sich öffnenden Hand

 

Bild: Gebet um Ganzheit - Tetralogie des Zerbrechens IV Öl auf Novopan, 1990

Der Täuberich

Auf der grossen Bahnhofuhr
tänzelt der Täuberich
Während er sich
um sich dreht
und ich in ihm
mein Ich
erkenne, das
ausser sich
tanzt vor Dir
dreht sich unten
der Sekundenzeiger
mit der roten Kelle stur

Fliegen

Ich schreibe
ein Gedicht
am Tisch
Musik
inspiriert mich
Fliegen
stören mich
Mit den Händen
schlag ich sie tot
Eine
nach der andern
Die beharrlichsten
glauben zuerst daran
Goldner Engelflügelstaub
setzt sich fest
und der Bildschirm
des Laptops
erblindet
Meine Finger
schreiben weiter
und zählen
die toten Fliegen
denn in diesem Gedicht
ist jede tote Fliege
ein erobertes Wort

Das Licht
ist immer hier
doch es zu suchen
ist vollkommen
vergeblich

steht da
mit Fliegenblut
geschrieben
Ach
mit Liebesblut
habe ich einst
Lieder gesungen
an Engel
mit bezaubernden Brüsten
und jedes Staubkorn
wurd ein Wort
Heut begnüge ich mich
an Fliegen zu schreiben

Liebe Fliegen
fliegt
geschwind
fliegt
wie weisse Schwäne weit
fliegt

Bild: Eva`s Fall - Tetralogie des Zerbrechens II Öl auf Novopan, 1990

Ein Hund

Ein Hund
ist ein Hund
Ein Hund
ist kein Hund
Ein Hund
ist sowohl
ein Hund
als auch
kein Hund

Foto: Meine Mutter,  1 Jahr alt, am Strand ihres Heimatdorfes mit Hund

In Deinen Armen

Ich kann in Deinen Armen
nicht einen Gedanken verschwenden
an die Zukunft
und die Erinnerung bricht
wie die Augen eines sterbenden Hundes
denn nur Du
nur Du
bist wahr
Du bist das All
das in meine Hände glitscht
wie ein frisch geborenes Vogelei
Du bist der Apfel
dem Baum des Lebens geraubt
von meinen Zähnen gehehlt
und von der Seele verdaut
Oh lass mich endlich
die Zeit beerdigen
in der Unendlichkeit
Deines Lidschlags
Und kentere mich
vom Deck des rostenden Kahns
der unter der hochmütigen Flagge meines Ichs
seit zahllosen Lebenszeiten
die Weltmeere betrübt
Schiffbrüchiger will ich sein
auf dem Meeresgrund Deiner Augen
an die azurnen Korallen
Deiner Seele gekreuzigt
trunken von der Weisheit der Ertrunkenen
nichts anderem verfallen
als Muttermale zu zählen
auf dem sandgelben Grund Deiner Haut
die Schatten
die die unzähligen Sterne
werfen

Bild: wahrscheinlich Alex Grey

Tanz der Teetassen

Heut Morgen
sind den Liebenden
die Teetassen entwischt
Jetzt tanzen sie
am Himmel
für dich
Schau hin
sie schweben da
nur einen Teeschluck lang
Unsinnige Leute
bejagen sie
als Unbekannte
Fliegende Dinge
Sinnige
vermissen hingegen
ihre Spiegelbilder im Tee
und finden sie jetzt
in jedem Gesicht
Eine alte Frau
hat auch nicht mehr
alle Tassen im Schrank
Vom Hausdach aus
will sie
die Getürmten
vom Himmel holen
Doch Herr Engel
die ungelebte Liebe
in ihrem Leben
klammert sie dort
beharrlich fest
und trinkt
ihren herben Tee
so ganz entzückt
wie nur
ein Engel
trinken kann
Heut ist der Himmel
voller Teetassen
Sie schweben
über uns
für dich
Und die Engel
haben das gleiche Problem
Ihnen sind
die Gloriolen entwischt
Jetzt tanzen sie
auf Erden
über jedem Gesicht

Bild: Teetassentanz Zeichnung auf Teebeutelpapier

Vorstadtblues

Über der Vorstadt
flimmert der Himmel
wie die Filmleinwand
nach dem Abspann

Aug um Aug
stirbt den Passanten
das Schauen

Wie Blinde
mit den Regenschirmen
gen Himmel
tasten sie sich
nach Hause

Im Birkengeäst verletzen sich
die Regentropfen

Unter den Dolendeckeln frohlockt
das Abwasser

An den Buchenhecken
hängen noch
tote Blätter
vom Jahr zuvor
braun und schwer
wie nasse Hundezotteln

Jedes Auto wirft
Gischt auf
die trüb
 über
die Gehsteige spült

In den Tannenwipfeln
ratschen die Raben
ihre pechschwarzen Seelen
aus den Leibern

Und obschon auf den Wiesen
die Bauprofile ballettieren
und abmessen
zur Himmelnahme
im kommenden Frühjahr

Applaudiert niemand

Marcello Mastroianni liegt im Sarg

Intonieren die gelben Aushänge
im Chor der Kioske
die aus der Stadt schiessen
wie ockerfarbige Pilze

In den Einfamilienhäusern
dröhnen die Heizungskessel

Und hie und da
beglückt dich

Einer Amsel
frierendes Zwitschern

 

 

Bild: An Land gebundene Wolke Zeichnung

Ostern 1984

Angst nach einer Blume
am Abend

Und tote Fliegen
auf dem Tisch

Die Hunde bleiben draussen
und drinnen bleibe ich

Jeder Spiegel
ist ein weiteres Ich

Und jeder Andere
ist der Spiegel

Woher kommen
die Worte?

Woher kommen
die Gedanken?

Woher kommen
die Gedanken über die Gedanken?

Reinkarnation ist jetzt
Ich bin der Andere

Ich bin das verzehrte Osterlamm
Ich bin der zersplitterte Schokoladenhase

Ich bin Jesus Christus
der himmlische Wolf

 

 

Bild: Angst nach einer Blume Tinte auf Papier, ca. 1972

Gestern ist Lila gegangen

Gestern ist Lila gegangen
Unser letztes Spiel
wurde verregnet
von den Glockenklängen der Kühe
und der Heiterkeit der Götter
die voller Staunen sahen
dass es keinen Unterschied gibt
zum Spiel
das sie mit uns spielen

Aiyana

Lila (göttliches Spiel) hört nun auf den schönen Namen Aiyana (ewige Blüte).

Ein unnützer Tag

Erstaunlicherweise
kein Besuch
heut

Nur das Hecheln
des Hundes
nah am Ohr

Im langen Atemzug
des Abends

Vollendet sich
ein unnützer Tag

Höchste Zeit
die Hängematte zu hissen

Am Baum der Erkenntnis
das eine

Am Baum des Lebens
das andere Ende

Und in ihre sehnende Leere
zu fallen

Meine Haut
bekommt der Wind

Meine Ohren
der Gesang der Singdrossel

Meine Augen
behalte ich

So gesichtslos
wie die Wolken
durch den Himmel

Wandern die Gedanken
durch dich

Ob du nun Wolke bist
oder Himmel
oder beides

Ist so was
von egal

Der Verwesungsgeruch
des Kalbsgelenkknochens
unter der Hängematte

Ist dein heutiges
Erwachen

Jeder Tag

Dem Buechli gewidmet

Jeder Tag
ein Schritt

Jede Stunde
ein Schritt

Jede Minute
ein Schritt

Jede Sekunde
ein Schritt

Und das Land
durch das du wanderst

Ist dieser Augenblick

Abend

Es ist Abend
mit einem Vogelgezwitscher

Und es ist Abend
mit einem Autoabfahrgeräusch

Aber es ist Abend
ohne Telefonklingeln

Da ist nur Abend

Mit Kuhglockenklängen
sanft und grün wie das Gras

Und einem zittrigen Wind
vom Tal herauf

Der über die Dinge streicht
wie über eine Haut

Und alles ist Abend

Siesta

Du bräuchtest
keine Geschichte zu bauen
um diese Stille
die du bist
Du könntest
auch einfach
das Gesumm der Fliege sein
die dich umirrt
und die tiefe Wärme
in deinem Gesicht
oder das zarte Licht
das durch deine Augendeckel
schimmert

Mit deinen Tränen

Mit deinen Tränen
sorgfältig eingefangen
von den Scherben
deines gebrochenen Herzens
tränkst du
das dürstende Meer

 

Bild: Der Kuss des Meeres Bleistift auf Papier, ca. 1987

Vollmondnacht 05:43

Still ist diese Vollmondnacht
vollkommen still
Wie eine Saite gespannt
über das Tal unberührt
vibriert sie doch
O Silbersirren der Stille
Horch!
Einsam ruft ein Käuzchen
Niemand zählt die Sterne
Niemand beendet das Gedicht

In deinem Gesicht ist das Licht

In deinem Gesicht
ist das Licht
Und mit deinem Gesicht
bist du das Licht
Ein dunkles Monster
lehrt dich das
Es ist dein Meister

 

In einer wilden und hügeligen Landschaft: Wir entdecken grosse, wilde Tiere; da ist zum Beispiel eine Wildsau mit ihren Frischlingen, die aber auch gewaltig sind; und auch andere urtümliche, menschtierartige Wesen kommen plötzlich aus ihren Verstecken. Ich fürchte mich einwenig und versuche mich deshalb unscheinbar zu verhalten. Plötzlich kommt so ein Ungeheuer auf mich zu und packt mich. Doch zu meinem Erstaunen zeigt es mir, wie ich mit meinem Gesicht das weisse Licht aufnehmen kann, indem ich mein Gesicht danach richte und es aufsauge…

Mitten in dieser Nacht nach diesem Traum, ziemlich genau bei Vollmond, weckt mich Kaya und will raus - was ganz unüblich ist.

 

Antonio Saura - Goyas Hund http://www.tagesanzeiger.ch/kultur/kunst/Goyas-kecker-Hund/story/11895659

Abschied

Für Tina

In der Schlaufe des Depots
jammert die erste Strassenbahn
Und Krähen fangen an
den Morgen hervorzuschimpfen
Das Dunkel zerbröckelt
und die Kälte beisst
Die Stadt macht ein Auge auf
spürt den Kater
macht es wieder zu
Ein betrunkener Engel
schiebt sein Fahrrad
durch die Gassen
Und verblühte Nachtschwestern
sind unterwegs
heimzu
Da und dort
hängen noch
Uhren ohne Zeiger
und aus einem offnen Fenster
piepst ein elektronischer Wecker
O Gott
Schlag ihn tot!
Der Morgen möcht noch einwenig Ruhe haben
vor der Grausamkeit des Tages
wie ein Frischgeworfenes in der Fruchthülle
vor dem rauen Zungenlecken des Lebens
Einer Geige klagend Lied wird fortgetragen
vom Trauerzug des Morgennebels
Und in den Bistros suchen die ersten Fabrikarbeiter
ihre dumpfen Spiegelbilder in den halb leeren Kaffeetassen
Ich kann mich dem Gesang des Heilsarmeechores nicht entziehen
der am Frost des Tages glühende Herzen kühlt
und gebe den Uhren die Zeiger zurück
verschämt
weil ich ihre Blösse nicht ertrage
und bin der erste Kunde
in der Buchhandlung um die Ecke
wo ich mir das Buch erwerbe
mit den Liebesbriefen
die du mir
nie geschrieben
du
damals
umarmt
vom Duvet der Nacht
die wir zusammen durchschlafen
bis in der Schlaufe des Depots
die erste Strassenbahn
jammert

Bild: Goyas Hund, aus:
http://de.wikipedia.org/wiki/Hund_%28Goya%29