All eure Beziehungen sind vergänglich, sind flüchtige Erscheinungen, auch wenn sie fünfzig Jahre währen (was sind fünfzig Jahre in der Unendlichkeit?); das einzige an der Beziehung, das ewig bleibt, ist ihre Schönheit. Und die Schönheit besteht in der Liebe, die ihr einander entgegenbringt; in eurer Bereitschaft, euch immer wieder der Liebe zu öffnen, sei sie »erwidert« oder »unerwidert«. Liebe ist ewig; Beziehung vergänglich. Für manche von euch ist das eine bittere Pille; manche kommen gar nicht darüber hinweg, dass sie sich von einem Menschen, den sie lieben, trennen mussten. Wir sehen diesen Schmerz und erkennen ihn an; aber wir sehen auch, dass sowohl der Schmerz als auch die »Beziehung« Bestandteile eines Theaterstücks sind, eines Dramas, einer Komödie oder einer Tragödie, die ihr miteinander aufführt. Das, was du als deinen Geliebten bezeichnest, ist letztlich nur ein Kostüm, das der wahre Geliebte sich angezogen hat, um dich zu bezaubern; das, was du als »ich« ansiehst, ist letztlich nur ein Kostüm, das dein wahres Selbst angezogen hat, um eben dieses Theaterstück oder diesen Traum, die du als dein Leben bezeichnest, in dieser einzigartigen Weise erleben zu können; und beide, dein wahres Selbst und der wahre Geliebte, sind eins.
Wenn du zu dieser Erkenntnis tatsächlich gelangen willst, wenn du von ihr so sehr durchdrungen sein willst, dass sie dir in Fleisch und Blut übergeht, dann musst du dich buchstäblich zu ihr hindurchlieben. Du findest nicht zu dieser Erkenntnis, indem du den Weg des Asketen beschreitest und dich in eine Höhle zurückziehst; das kann eine Zeit lang, vielleicht auch einmal eine Lebensspanne lang, ein Weg sein, dich von Illusionen zu lösen; aber die wahre Realisation dieser Erkenntnis erreichst du nur inmitten der Illusion. Indem du das Leben lebst, die Liebe fühlst und annimmst wie den Schmerz, die Leidenschaft wie die Bitterkeit, die Zärtlichkeit wie die Grausamkeit, die Sehnsucht wie den Überdruss, die Freundschaft wie das Begehren; indem du all das fühlst in all seinen Dimensionen und in und hinter diesem Fühlen das Leben selbst, die Fülle des ganzen Lebens, den Ozean der Glückseligkeit, entdeckst.
Safi Nidiaye Die Schönheit der Liebe