Kategorie: Gedichte
Abendlied
Ich sitze auf dem Balkon
den makellosen Spiegel
des Abendhimmels
im Gesicht
Während noch
ein paar Mauersegler
im Abendlicht
hin- und herschwingen
Und sich irgendein
unermüdliches Insekt
an den rosa Oleanderblüten
zu schaffen macht
Denke ich an dich
irgendwie leicht
und doch auch müd
vom Tag
Und weiss
dass das Lied der Amsel
auf dem Schornstein gegenüber
ganz dir gewidmet ist
An Hundstagen
An Hundstagen
liegen Hunde
dumm herum
Und Buschwindröschen
sehnen sich
nach Blütenköpfen
Ihr Zittern
ging verloren
im Frühlingswind
Und wurde wieder gefunden
im Liderflirren
träumender Hunde
Diebinnen der Liebe
Der Tag sagt, dass er noch zu haben sei
zu einem Preis, den zu zahlen
du nicht bereit bist
Am Morgen hat dich im Spiegel
ein Augenblick von Bedeutungslosigkeit erhascht
Und jetzt ziehst du durch die Gassen der Stadt
Flüchtling deines Herzens
Fliehst vor dessen Schlägen
und die Diebinnen der Liebe fliehen vor dir
In den Schrebergärten schreien die Schnecken
und in den Parks der Botschaften
duften die Rosen
Einsam blüht die Blume des Lebens
und verschlingt die Fliegen
die pralle Müllsäcke umwerben
Dann macht sie sich an den Rest des Tages
den zu verspeisen, du nicht gewagt hast
und die Diebinnen der Liebe speisen mit ihr
Die Blume wächst in deinem Herzen
das so gewöhnlich ist
wie ein tönerner Blumentopf
Du hast deine Geschichte verloren
Sie liegt irgendwo im Müll
von all dem, was nicht gesagt werden kann
Sommer heisst der Tag, und selbst Polizisten im Dienst
überfallen die Dielen und stehlen das goldene Eis
und die Diebinnen der Liebe stehlen mit ihnen
Und du kannst nicht anders
als die zahllosen Kaugummimuttermale
zärtlich anzusehen
die sich über die asphaltische Haut der Erde legen
Sie weisen dir den Weg wie Kinderzeichnungen
der abertausend Augen Gottes
Und da das alles ist, was ist
kommen die Kellerkinder ans Licht
und die Diebinnen der Liebe sehnen sich für dich
Und alles, was du noch bist
ist das, was du einst warst
in dieser angehaltenen Welt
die so satt in deine Handfläche passt
Du triffst auf das Mädchen mit den traurigen Brüsten
das dir Tränen weint von Milch
Und im Gasthaus Zum träumenden Hund fällt
der blaue Regen, fällt
an die zitternden Fenster
und die Diebinnen der Liebe fallen mit dir
Schneetag
Der Schneefall hört auf
Stille
Prall begehrt das Schneemeer
Krähen hacken Wunden in Wolken
Blondes Kuhschwanzhaar hängt am Stacheldraht
Ein sanfter Wind frischt auf und kämmts
Geräusch von Säbelschwirren
(Krähe im Tiefflug)
Sonst nichts
Als einwenig Asche von gestern
Und frische Schneepastetchen auf den Pfählen
Keiner ragt gerade aus dem Schneefeld
Ein Brummen im Himmel
(ohne Flugzeug)
Vehement flaggt die Sonne nun
Das Schneemeer stöhnt
Von der Traufe tropfts
Der Eiszapfen bricht
Ich hebe ihn auf
Und schenk ihn
Deiner Schenkelhitze
(in der Nacht)
Ach, wie verletzlich
Alles
Wie vergänglich
Ein Bild
Ich male ein Bild
von dir
Ich nehme als Farbe
allen Schmerz
und allen Jubel
den ich jemals
für dich empfand
Ich trage Wunden
im Gesicht
Und ein leeres Herz
in den Händen
Ich knie nieder
vor dir
Für all das Leid
und all das Licht
Für all die Tränen
die du weinst
Und für all die Lieder
die du singst
Eisrosen
Es schneit
leicht
Die Scheiben verkräuselt
von Eisrosen
Mit dem Fingernagel
kratz ich sie weg
Und büschle sie
zu einem Sträusschen Schnee
Das ich in deinem Bauchnabel
arrangier
Es sind die ersten Rosen
die ich dir schenk
Und wer weiss
vielleicht auch die letzten
Draussen gibt sich die Gegend
unschuldig
Weiss gepudert
wie ein Geburtstagskuchen
Zittern die Tannen darin
wie smaragdgrüne Kerzen
Und in der Stille
flackert ein schmaler Mond
Alles scheint zu warten
auf den letzten Atemhauch
Der die Nacht
löscht
Damit sich
die Liebe zeige
Die scheue, die
die Welt umarmt
Simpel und banal
wie der blaue Schal
Den Schneemann draussen
hinter den Scheiben
Bleibe nah und tue nichts
Das gelbe Buch
mit dem goldenen Titel
der mir entfallen ist
wartet im Büchergestell
schon seit langem auf dich
wartet beharrlich
neben der verstaubten Lücke
die das grüne Buch
mit dem karminroten Titel
zurückgelassen hat
als es einmal verliehen
sich in irgendwelchen Händen
einer raschen Liebe
verlor
Nur sein Titel
Bleibe nah und tue nichts
klammert sich noch
in meiner Erinnerung fest
vielleicht
weil ich damals
mit den Fingerkuppen
darüber glitt
und den zarten Schmerz spürte
einer zierlichen Grabinschrift
im Granit
Doch suche mich nicht hier
und warte nicht auf mich
Seit undenklichen Zeiten
streife ich umher
durch die herbstlichen Wälder der Erde
Wölfe und wilde Hunde an der Seite
vollkommen durchschienen
vom Licht
das durch die unzähligen Blätter scheint
der Buchen und des Ahorn
Dass du da bist
Dass du da bist
dass ich aber nicht weiss
wer du bist
Dass du mich anblickst
dass ich aber nicht weiss
wessen Blick
Dass du mir deine Seele zeigst
wie ein Pfauenauge
das sich auf meine Handfläche setzt
dass ich aber nicht weiss
ob es gleich wegfliegen wird
Macht die Spannung aus
mit der ich dich liebe
Aber auch die Gefahr
dass sie bricht
Wäre es möglich
Seit dem frühen Morgen
sitze ich hier und fühle mich
einsam hineingefallen
in die endlose Weite des Tages
Wäre es möglich
nicht einsam hier zu sitzen?
Erst am späten Abend
nach langem Verhandeln mit mir
komme ich zum Schluss
Es wäre möglich
Ich nehme dich
Ich nehme dich
aus deinen Träumen
Als nähme ich
vom Baum des Lebens
Den ersten Apfel
Hinter uns
die Rache der Toten
Vor uns
der Rachen des Todes
Wie zart
das Fleisch des Apfels
Wie schön
das Leben
Ich will dich begleiten
Für Sara Cosima
Ich will dich begleiten
auf eine Reise ins Land der Zweieinsamkeiten
wo eins und eins nicht zwei sondern eins
wo Berge Wolken und Wolken betrunkene Berge
wo das Leben die leichte Brise ist im Gesicht
mehr nicht
Wer träumt?
Yasutani Rōshi
meditiert nicht
er träumt
von zwei Hunden
die unter ihm
schlafen
und träumen
von einem Zenmeister
der nicht meditiert
sondern
schläft
und träumt
in einem Bild
an einer Wand
eines Zimmers
von zwei Hunden
die nicht meditieren
sondern
schlafen
und träumen
sie seien
zwei Menschen
in einem Bett
eines Zimmers
schlafend
und träumend
von einem Zenmeister
genannt
Hakuun Yasutani Rōshi
der mit Eitempera
auf Packpapier
gemalt
schon seit
vielen Jahren
in einem Rahmen
an einer Wand
eines Zimmers
hängt
und nicht schläft
sondern
meditiert
und dank seiner
grossen Leidenschaft
und Geduld
in diesem Augenblick
das Kōan
Wer träumt?
meistert
Bild: Yasutani II Eitempera auf Packpapier, 1992
Blutmond 04:53
Den ganzen Tag lang ass
die Sonne aus mir
wie ein Hund
aus einem Blechnapf Frass
und hat mich
leergeleckt für dich
Da kommst du über mich
Geliebter
wie die Nacht
kommst du über mich
tief und dürstend
wie ein Tier
und legst mir
in die Seele
den Mond
Hostie der Nacht
und der Sonne Aas
Bild: Henri Rousseau, 1910
Herzschlag des Alls
Wo bin ich
bist du
Wo bist du
bin ich
Herzschlag
nur einer
Herzschlag
des Alls
nicht meiner
nicht deiner
gebrochen
aus unserem Herzen
erfüllt er
das All
Birte
Heute wische ich mir
die Bitternis von den Lippen
die als Stabreim noch
an deinem Namen haftet
Birte
Dann nehme ich deinen Namen
zart in meine Hände
wie eine leere Hülle Haut
Bittere
Birte
Habe durch dich
von der Liebe geschmeckt
die hinter allem wartet
hätte gerne noch mehr vom Leben
mit dir geteilt
Den Schmerz
zum Beispiel
oder ein Kind
Wir hätten dann
im Sessel des Alters
das gelebte Leben betrachtet
wie im Kino den Film
Okuribito
damals
als der unzähmbare Fluss
durch unsere jungen Körper
gerauscht
Wären dann rübergehüpft
über den Tod
wie in den Quartierstrassen
die Kinder
über Hosengummis
einer nach dem andern
ins Grosse Meer
spielerischer Leichtigkeit
Hätten der Schwerkraft
ein Schnippchen geschlagen
die uns so gern
wieder in eine Körperhaut
gedrückt
und in einer Gebärmutter
versenkt
Doch ich weiss nicht
wo du jetzt bist
und was du jetzt tust
vielleicht läufst du umher
grau und mondän
eine fremde Frau
unter vielen
Und fragst dich heimlich
ob du auch geliebt hast
ob du auch
ein rohes Herz trägst
nackt
in die Nacktheit der Liebe
Woher nur
soll ich das wissen
Mein Name ist
eines Morgens
nicht mehr
mit mir
erwacht
O Namenlos
bin ich
dazu verdammt
Engel vom Himmel zu bitten
um auf ihren Häuten
Gedichtchen
zu dichten
An die Namen
all meiner
gegangenen
Geliebten
Bild: Im Trojanischen Pferd Gouache auf Papier, 1993
Nur Heilige können sie zählen
Herbst
nistet
in meinem Herzen
Blätter
fallen
von meiner Seele
Ein Lichtschein
legt sich
um meine Füsse
Nur Heilige können
sie zählen
Die gefallenen Blätter
meines Lebens
Die toten
Begegnungen
Die verstorbenen
Augenblicke
Die gebrochenen
Umarmungen
Die verbluteten
Liebschaften
Nur Heilige können
sie zählen
Die Gräber
meiner Beziehungen
Liebesgedicht
Ich öffne
im Meer
des Lebens
jede Muschel
auf der Suche
nach dem
du
das
du
letzte Nacht
in mein Ohr
gelegt
Das ins Meer
meiner Seele
gefallen
Und sich in
meinem Herzen
verlor
Der Täuberich
Auf der grossen Bahnhofuhr
tänzelt der Täuberich
Während er sich
um sich dreht
und ich in ihm
mein Ich
erkenne, das
ausser sich
tanzt vor Dir
dreht sich unten
der Sekundenzeiger
mit der roten Kelle stur
Fliegen
Ich schreibe
ein Gedicht
am Tisch
Musik
inspiriert mich
Fliegen
stören mich
Mit den Händen
schlag ich sie tot
Eine
nach der andern
Die beharrlichsten
glauben zuerst daran
Goldner Engelflügelstaub
setzt sich fest
und der Bildschirm
des Laptops
erblindet
Meine Finger
schreiben weiter
und zählen
die toten Fliegen
denn in diesem Gedicht
ist jede tote Fliege
ein erobertes Wort
Das Licht
ist immer hier
doch es zu suchen
ist vollkommen
vergeblich
steht da
mit Fliegenblut
geschrieben
Ach
mit Liebesblut
habe ich einst
Lieder gesungen
an Engel
mit bezaubernden Brüsten
und jedes Staubkorn
wurd ein Wort
Heut begnüge ich mich
an Fliegen zu schreiben
Liebe Fliegen
fliegt
geschwind
fliegt
wie weisse Schwäne weit
fliegt
Bild: Eva`s Fall - Tetralogie des Zerbrechens II Öl auf Novopan, 1990
Ein Hund
Ein Hund
ist ein Hund
Ein Hund
ist kein Hund
Ein Hund
ist sowohl
ein Hund
als auch
kein Hund
Foto: Meine Mutter, 1 Jahr alt, am Strand ihres Heimatdorfes mit Hund