Wal, Buechli-Holz, 2022
LEBEN
Mit Gedanken
wie Affen
Mit Gefühlen
wie Hunde
Mit Gliedern
wie Pferden
Mit Körpern
webend
wellend
wirbelnd
Wie Schlangen
wie Fische
In strömenden
Wassern
EIN LEBEN OHNE MICH
Erinnerst du dich
An ein Leben ohne mich
Als der Tag dich einlud
Mit dem Gurren der Ringeltauben
Als der Abend dir gute Nacht sagte
Mit dem Zirpen der Mauersegler
Als am Morgen auf dem Nachttischchen
In dem smaragdgrünen Fläschchen
Deine Trauer lag und das zerwühlte Laken
Im Bett neben mir
Leer und nackt
Wie eine eben vom Film verlassene
Weisse Leinwand
WIE DIESES LIED
Hinter dem
geöffneten Fensterist soeben ein Vogel vorbei-
gefolgenEin ausgedienter Teddybär lebt
seit geraumer Zeitunter dem vergilbten Foto
seines ZenmeistersIn diesem Augenblick
setzt sich eine Singdrosselauf den Riss
in der kalkweiss
verputzten WandSie sinnt
nach einem Liedzum Ende
der WeltUnd wenn sie
dann singtklingt's
wie dieses Lied
EIN TRAUM IN BLAU
Nach dem Regen
ist alles blauIn einer Pfütze
spielt noch ein TraumEs ist der Traum
einer FrauGeträumt morgens
ungefähr um achtAls draussen
die Luft klar warUnd an den Bäumen
jedes Blatt zählbarAls die Irren irrten
durch die Labyrinthen der StadtUnd gegen das Blau des Morgens
demonstriertenDa sie glauben
immerzu unterwegs zu seinDurch die arthritische Triumphbogen
ewig wiederkehrender SiegeWährend in der Küche Alice tanzt
als kleines MädchenUm einen Keks:
der ist so wunderbar blau!Und in einer dunklen Stube
ein blinder Mann endlichDas Zählen beendet
seines Hundes sämtlicher HaareLiegen wir noch
im Traum der FrauIn der Pfütze
wie in einer blauen InselLiegen dort
zufrieden zitterndZählen die Schritte
die in den Himmel gehenUnd ahnen
dass wir Träume sindDie im Träumen umherzucken
wie pikareske Fische im Meer
Nonno Paolo & Nonna Marta 1973 in O.
DIE BEIDEN ALTEN
Mama ist eine alte Frau
Sie kocht
mit gebücktem RückenIhre Augen sind
von Zeitlosigkeit
durchsichtig geschliffenUnd in ihrem Blick
liegt Liebe
freiWie ein Ei
in einem Nest
ohne VogelPapa ist ein alter Mann
Er sitzt am Tisch
und wartet auf sein MittagessenDie Weissweinflasche
leistet ihm
GesellschaftEin Tumor
der im Kehlkopf sitzt
krächzt heiser seinen NamenUnd seine kleinen Augen
singen und tanzen
mit dem giftgrünen Geist in der FlascheDie beiden Alten
haben längst vergessen
dass ihre LiebeVor siebenundsechzig Jahren
in einem Dörfchen
am ligurischen Meer intoniertZuunterst im Bücherregal
auf einen Betrachter wartet
in einem alten Fotoalbum konserviert
LIEBE IST NUR EIN VORWORT
Liebe ist nur ein Vorwort
Erleuchtung nur ein Vorort
Kein Ich
oder ein Ich
ein Witz
Nur Licht
reinster Istigkeit
ist
Zittern ist angemessen
Spastik beschreibt es
besser
Tanz
trifft's
vor allem
wenn er behindert ist
Tränen hören
zu fliessen auf
und sprudeln in den Augen
wie helle Quellen
Alles ist
mit einem Blick
durchschaut
Erleuchtung ist erst die Vorhölle
und das Bodhisattva-Gelübde
zaubert dir
ein Lächeln milder Schadenfreude
ins Gesicht
Der leiseste Blick
in die Augen deines Hundes
zerstört dich
Allein
ein Auge
und niemand dahinter
Niemand da
dem es gehören könnte
Wie unglaublich
schön
und unergründlich
ist
doch
das gleissende Wirbeln
und Drehen
des Universums
Für Mika, der heute 4 Jahre alt ist
ES IST SO
Der Traum träumt
Die Sonne scheint
Der Regen regnet
Der Himmel himmelt
Die Erde erdet
Der Fluss fliesst
Die Hügel hügeln
Die Wälder walden
Die Rosen rosen
Die Robinen robinen
(unterstützt von den Bienen)
Der Apfelbaum apfelt
(ganz langsam)
Der Arunachala
arunawatschelt
Der Weise weist
(niemand einen Weg)
Der Hund hündelt
Die Vögel vögeln
Die Katze kratzt
(sich hinter dem linken Ohr)
Das Ist ist
Abwesenheit glänzt
(durch Abwesenheit)
Dem Schwan schwant
(nichts)
Das Nichtwissen
weiss auch nicht
Aarau aaraut
Olten oltet
Ein Alter altert
(am Strassenrand)
Die Wölfin wölft
Die Schafe schlafen
Ein Baum bäumt sich auf
Hühner hühnern
Menschen menscheln
Der Raum räumt sich leer
Die drei Musketiere
dreimuskeltieren
Das Nichts vernichtet
Das Meer vermehrt
Die Wellen wellen
Die Wogen wogen
Die Schaumkronen
krönen sich
Und der Strand strandet
Die Leere lehrt
Das Aug des Alls
schaut zu
(ungerührt)
Stille stillt
(die Welt)
und verhallt
und ab und zu
regnet es
Hunde
Für Stephan & Miguel
HIMMEL AUF ERDEN
Jetzt sind wir angekommen
im Himmel auf Erden
nach langem Aufstieg im SchneeHier oben ist alles Licht
und hell und erleuchtet
ist alles ein AugenblickIch könnte dir
Fotos machen
und hinunter sendenDoch würdest du
nur dunkle Fotografien sehen
alle schrecklich unterbelichtetUnd dennoch ist das
was sieht
freiEs sieht die Bäume
wie sie auf der Erde
balancierenEs sieht den vollen Mond
noch unschlüssig
hinter dem Hügel lauernEs sieht das ferne Hundegebell
sich immerzu
in der Nacht verlierenEs lauscht dem Gebet
des verlassenen Hundes
das die Stille preistEisrosen
an den Fenstergläsern
duften nach EisrosenheitUnd ich bin
die Kuh
unten im TalIn unendlichen Stunden des Kalbens
muhe ich mein Leid
in die WeltJeder Augenblick
ist messerscharf
wie der SchmerzUnd wie eine Flamme
erleuchtet er
allesWie er
augenblicklich
auch alles verzehrt
ICH BIN EIN MENSCH
Ich bin ein Mensch
der es liebt
den Raben zuzuschauen
wie sie in Regenpfützen spielen
der mit Hunden ruhelos
durch dunkle Wälder irrt
und über wildblumige Wiesen
von der Sehnsucht getrieben
mit den Wölfen zu lebenIch bin ein Mensch
der sich sieht
auf der Erde liegen
wenn die Raben kommen
um mir die Augen auszuhacken
von Hunden begleitet
die mein altes Fleisch
von den Lenden reissen
bis die Wölfe sie verjagen
um mein Blut zu trinkenIch bin ein Mensch
der sich anschaut
nachdem die Raben
ihm die Augen genommen
die Hunde das zähe Fleisch
seiner Lenden verschlungen
und die Wölfe sein volles Herz
ausgetrunkenEin Mensch
der es liebt
den Kinderstimmen zu lauschen
nach dem ersten Schnee
wie sie durch den Winterabend klingen
und mit den Schneeflocken spielen
FRIEREN
Jetzt sitze ich hier
mit zittrigen HändenVor dem noch feuchten
Blatt PapierUnd lausche
dem Lied der AmselDie im Geäst sitzt
meines GedichtsUnd singt
vom Frieren im Winter
AN DIE SEELE
Du Seele
Seele meiner Seele
Die du mich sehen lässt
Wie ich hier schlaflos liege
Und der Brandung lausche
Meines Sehnens
Nach dir