Shiva ist der Wohlwollende, der Gütige. Shiva ist das All, und alles, was wir kennen und sehen und erleben, ist Shiva, seine Meditation. Der Gedanke ist, oder das Bild ist, dass er auf dem Weltenberg Hailash in der Mitte des Universums sitzt, ganz hoch oben im tiefen tiefen Schnee sitzt er da, in tiefster Meditation, eigentlich träumt er und er träumt das Universum, er träumt alles, was ist. Die Welt ist sein Traum. Und dieser Traum ist manchmal so spannend, manchmal so schön, dass er sich selbst vergisst und in diesen Traum hineinspringt und dann ist er da im Da-Sein als Mücke, als Hund, als Baum, als Mensch, als Ich, als Du und so träumt er das Universum.
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Brahma erwachte in einem neuen Zeitalter in seinem goldenen Ei in der goldenen Blüte und tat, was er als Schöpfer tut, er meditierte in die Tiefe und schöpfte die Wesen und brachte sie zum Vorschein und brachte sie ins Dasein. Und diese Wesen waren vor allem männliche Wesen und vermehrten sich nicht. Und da kam eine Stimme, das war Shiva, und sagte ja, es braucht auch eine andere Seite. Und da holte er aus der Tiefe die wunderschöne Usha, die erste Frau. Sie war so so wunderschön - es ist eigentlich Parvati - sie war so wunderschön, dass sich Brahma in sie verliebte. Und er rannte ihr nach. Da verwandelte sie sich in eine Stute und rannte so schnell sie konnte. Er verwandelte sich natürlich in einen Hengst und jagte ihr nach. Sie verwandelte sich in einen Adler. Und er verwandelte sich ebenfalls in einen Adler, jagte ihr nach. Sie sprang hinunter und verwandelte sich in einen Delphin. Und dann verwandelte sich Brahma auch in einen Delphin. Sie verwandelte sich in eine Mücke und da verwandelte er sich in einen Mückerich. Sie verwandelte sich in einen Frosch. Da verwandelte er sich in einen Frosch und so kamen alle Tiere zustande, männlich und weiblich. Und zuletzt war es Shiva zu viel und er nahm seinen Pfeil und Bogen, - er war ja ein Wilder, der in den Bergen herumstreift, so ein Urmensch - und jagte Brahma und schoss ihn und nagelte ihn fest. Seither ist keine grosse Freundschaft, Brahma erschöpft. Und Shiva zerstört, er löst sie aus ihrer Erscheinung, er löst sie aus ihrem Wahn heraus. Und da gab es immer Gegensätze zwischen Shiva und Brahma.
Wolf-Dieter Storl Shiva Geschichten