Wenn die Welt sichtbar wird als Welt und nicht als die Welt des Ichs

Fünfundzwanzig Jahre später habe ich noch mehrere solcher Weltgefühlerlebnisse gehabt, aber keines ist so intensiv gewesen wie dieses erste, und im Unterschied zu ihm wurden die späteren von Bildern der Welt ausgelöst, nicht von der Welt selbst. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn dieses erste Weltgefühl enthielt zwei unterschiedliche, in ihre jeweilige Richtung ziehende Größen. Es ging zum einen um eine Präsenz im Augenblick, im Hier und Jetzt, das sich in seiner wahren Form zeigte, ohne Vergangenheit oder Zukunft, während es zum anderen um das Gegenteil ging, also um Abstand und darum, sich außerhalb von etwas zu befinden und es als abgetrennt zu betrachten, und folglich kein Teil davon zu sein. Und das, die Gleichzeitigkeit von Präsenz im Augenblick und Abstand von der Welt, ist der Ort der Kunst.

Das meditativ und religiös gefärbte Erlebnis des Jetzt, diese ungeheure Konzentration auf den Augenblick, die enorme Wellen von Verbundenheitsgefühlen mit der Welt auslöst, und vielleicht nichts weiter sagt als »ich existiere«, ist nur möglich, wenn die Welt sichtbar wird als Welt und nicht als die Welt des Ichs, und das tut sie nur, wenn dieses Ich außerhalb von ihr steht. In ein und derselben Bewegung entfernt die Kunst uns von der Welt und führt uns näher zu ihr heran, zu dieser himmelumspannten und sich langsam bewegenden Materie, aus der auch unsere Träume sind.

Karl Ove Knausgard Das Amerika der Seele

Zeichnung: Tagebuch, 25.4.11

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