Schneetag

Der Schneefall hört auf
Stille
Prall begehrt das Schneemeer
Krähen hacken Wunden in Wolken
Blondes Kuhschwanzhaar hängt am Stacheldraht
Ein sanfter Wind frischt auf und kämmts
Geräusch von Säbelschwirren
(Krähe im Tiefflug)
Sonst nichts
Als einwenig Asche von gestern
Und frische Schneepastetchen auf den Pfählen
Keiner ragt gerade aus dem Schneefeld
Ein Brummen im Himmel
(ohne Flugzeug)
Vehement flaggt die Sonne nun
Das Schneemeer stöhnt
Von der Traufe tropfts
Der Eiszapfen bricht
Ich hebe ihn auf
Und schenk ihn
Deiner Schenkelhitze
(in der Nacht)
Ach, wie verletzlich
Alles
Wie vergänglich

Unsere Augen gebrauchen wir, um uns zu sehen und zu erkennen

Unsere Augen gebrauchen wir, um uns zu sehen und zu erkennen. Wir können damit unsere Hände, unsere Füße und unseren Bauchnabel betrachten. Nun gibt es aber bestimmte Körperteile, die wir niemals direkt zu sehen bekommen, etwa unser Gesicht.
Um die unseren Augen nicht zugänglichen Körperpartien erkunden zu können, brauchen wir einen Spiegel.
Gleichermaßen gibt es in unserer Persönlichkeit, in unserer ganzen Art, mit Menschen und Dingen umzugehen, Eigenschaften, die unserer Wahrnehmung verborgen bleiben. Um sie zu sehen, brauchen wir ebenfalls einen Spiegel. Und der einzige Spiegel, in dem wir uns möglicherweise erkennen können, ist der andere. Der Blick des anderen zeigt mir, was meine Augen nicht sehen.
Und genau wie in der physikalischen Wirklichkeit hängt auch hier die Präzision des Widergespiegelten von der Qualität des Spiegels und der Entfernung ab, in der er zu uns steht. Je präziser der Spiegel ist, desto detaillierter und wirklichkeitsgetreuer wird sein Bild ausfallen. Je geringer die Distanz ist, aus der ich mein reflektiertes Bild betrachte, desto klarer wird die Wahrnehmung meiner selbst sein.

Aus: Jorge Bucay Lieben mit offenen Augen

Ein Bild

Ich male ein Bild
von dir

Ich nehme als Farbe
allen Schmerz
und allen Jubel
den ich jemals
für dich empfand

Ich trage Wunden
im Gesicht

Und ein leeres Herz
in den Händen

Ich knie nieder
vor dir

Für all das Leid
und all das Licht

Für all die Tränen
die du weinst

Und für all die Lieder
die du singst

Ich bin in allem und alles ist in mir

Ich habe gut und böse gekannt,
Sünde und Tugend, Recht und Unrecht;
ich habe gerichtet und bin gerichtet worden;
ich bin durch Geburt und Tod gegangen,
Freud und Leid, Himmel und Hölle;
und da habe ich erkannt:
Ich bin in allem und alles ist in mir.

Hazrat Inayat Khan, indischer Sufi-Meister (1882 - 1927)

Foto: Mika begegnet dem Geist der Beute im verbotenen Wald

Ein Hund macht niemals Fehler

Ein Hund macht niemals Fehler. Er ist nur ein Hund und deshalb benimmt er sich wie ein Hund und denkt wie ein Hund! In Wirklichkeit hast du den Fehler gemacht, weil du ihm nicht beigebracht hast, etwas zu tun, wenn du es von ihm verlangst. Oder du hast seine physischen und mentalen Fähigkeit falsch eingeschätzt. Wenn also im Team ein Fehler vorkommt, dann hast du ihn gemacht und nicht der Hund.

George Attla, Native American Dog Musher (1933–2015)

Das Feld

Meine Arbeitshypothese ist, dass das Individuum Teil eines Feldes ist. Das Feld im Hintergrund - das steht auch hinter dem Konzept des kollektiven Unbewussten. Wir können aus diesem Feld nicht aussteigen. Wir wissen es nicht genau, aber wir spüren, dass Dinge im Hintergrund geschehen, die unser Verhalten bestimmen. Was ich als Einzelner tun kann, ist an mir selbst zu arbeiten und zu wissen, dass meine Erfahrungen, alles, was ich erlebe, Teil des Feldes ist, in dem auch ich bin. Was immer einer tut, beeinflusst das Feld. Was immer im Feld geschieht, beeinflusst jeden von uns. Der erste Schritt ist, die eigenen Erfahrungen wahrzunehmen. Der zweite ist, sie auf eine für mich stimmige Weise anderen mitzuteilen und dann lernen, das Feedback zu beobachten. Auf diese Weise arbeitest du mit dem Feld. Deine Erfahrung ist wichtig, sie muss zum Ausdruck kommen, und du musst offen sein für die Erfahrungen von anderen. Die Erfahrungen wollen sich untereinander kennenlernen und miteinander arbeiten. Das ist wie mit den Träumen von Gruppen zu arbeiten. Das ist Weltarbeit. So geschieht Transformation.

aus: Arnold Mindell Dreambody: Notes on the History and Theory of Process Oriented Psychology

Eisrosen

Es schneit
leicht

Die Scheiben verkräuselt
von Eisrosen

Mit dem Fingernagel
kratz ich sie weg

Und büschle sie
zu einem Sträusschen Schnee

Das ich in deinem Bauchnabel
arrangier

Es sind die ersten Rosen
die ich dir schenk

Und wer weiss
vielleicht auch die letzten

Draussen gibt sich die Gegend
unschuldig

Weiss gepudert
wie ein Geburtstagskuchen

Zittern die Tannen darin
wie smaragdgrüne Kerzen

Und in der Stille
flackert ein schmaler Mond

Alles scheint zu warten
auf den letzten Atemhauch

Der die Nacht
löscht

Damit sich
die Liebe zeige

Die scheue, die
die Welt umarmt

Simpel und banal
wie der blaue Schal

Den Schneemann draussen
hinter den Scheiben

Bleibe nah und tue nichts

Das gelbe Buch
mit dem goldenen Titel
der mir entfallen ist
wartet im Büchergestell
schon seit langem auf dich
wartet beharrlich
neben der verstaubten Lücke
die das grüne Buch
mit dem karminroten Titel
zurückgelassen hat
als es einmal verliehen
sich in irgendwelchen Händen
einer raschen Liebe
verlor

Nur sein Titel
Bleibe nah und tue nichts
klammert sich noch
in meiner Erinnerung fest
vielleicht
weil ich damals
mit den Fingerkuppen
darüber glitt
und den zarten Schmerz spürte
einer zierlichen Grabinschrift
im Granit

Doch suche mich nicht hier
und warte nicht auf mich
Seit undenklichen Zeiten
streife ich umher
durch die herbstlichen Wälder der Erde
Wölfe und wilde Hunde an der Seite
vollkommen durchschienen
vom Licht
das durch die unzähligen Blätter scheint
der Buchen und des Ahorn

Unser Schatten ist so böse, wie wir gut sind

Unser Schatten ist so böse, wie wir gut sind...Je verzweifelter wir uns bemühen, gut und wunderbar und vollkommen zu werden, desto stärker entwickelt der Schatten den festen Willen, dunkel und böse und zerstörerisch zu sein...Streben wir also über das Mass unserer Fähigkeiten hinaus nach Vollkommenheit, steigt der Schatten in die Hölle hinab und wird zum Teufel. Denn nach den Prinzipien der Natur und der Wahrheit ist es ebenso frevelhaft, sich über sich selbst zu erheben, wie sich herabzusetzen.

C.G.Jung aus: Haruki Murakami 1Q84, Buch 2

Was es ist

Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe

 

Erich Fried Was es ist  http://www.erichfried.de/Was%20es%20ist.htm

You need awareness, not power, to notice and follow the changes.

If you strive to do too much, you may be relying on power instead of awareness. Insecurity occurs if you try to do something without feeling inspired. We do not need you as a leader for world change. Change is inherent in people and nature. You need awareness, not power, to notice and follow the changes.

Wenn du dich zu stark anstrengst, dann verlässt du dich eher auf deine Macht anstatt auf dein Bewusstsein. Es entsteht Unsicherheit, wenn du versuchst, etwas zu machen, ohne dich inspiriert zu fühlen. Wir benötigen dich nicht als Führer zur Veränderung der Welt. Veränderung ist allen Menschen und der Natur inhärent. Du brauchst Bewusstsein, nicht Macht, um die Veränderung zu bemerken und ihr zu folgen.

Arnold Mindell The Deep Democracy of Open Forums

Dass du da bist

Dass du da bist
dass ich aber nicht weiss
wer du bist

Dass du mich anblickst
dass ich aber nicht weiss
wessen Blick

Dass du mir deine Seele zeigst
wie ein Pfauenauge
das sich auf meine Handfläche setzt
dass ich aber nicht weiss
ob es gleich wegfliegen wird

Macht die Spannung aus
mit der ich dich liebe

Aber auch die Gefahr
dass sie bricht