Ein ganz banaler Engel

Für Ursula

Graublau ist der Himmel
Mein Körper liegt auf dem Sofa
Die Füsse biegen sich angenehm satt
über die Wölbung der Sofakante
Fern klingen die Geräusche der Stadt
und ab und zu der Motor
eines ankommenden oder abfahrenden Autos
Alles ist in der Grossen Stille geborgen
wie in einer dunklen Muschel
Jetzt höre ich sie
mit dem Hund
die Treppe hinaufkommen
Ein Kratzen an der Tür
sie geht auf
und ein nasser und verdreckter Hund
stürmt hinein
und begrüsst mich
hingebungsvoll
Da schwirrt ein ganz banaler Engel
durch den graublauen Himmel
Oder war das eine Täuschung?
Das Rauschen der Pelerine
die sie jetzt abstreift
ist ein Klagegesang
von tausenden
sterbenden
Regentropfen
Es ist unmöglich
das Leben zu beschreiben
Es ist zu gross
Mein Verstand stürzt zusammen
und ich begrüsse das Leben
so hingebungsvoll
wie der Hund
mich

Maya

Für Maya

Maya ist nackt
Maya ist behaart
Maya ist nass
Maya ist hungrig
Maya ist schön
Maya ist ein Hund
eben geboren
Maya ist eine Frau
eben gestorben
Maya ist ein Traum
eben geträumt
Maya ist eine Sehnsucht
die sich sehnt
Maya ist der Schmerz
der schmerzt

 

Maya (Sanskrit: माया māyā „Illusion, Zauberei“)

Welpentage

Welpentage
sind keine Tage
haben keine Zeit
sind ohne Erbarmen
Beutegreifer
deinem Verstand
sind sie eingebrochen
in dein Leben
Überwältigt ist die Angst
unterwürfiger Wächter
der erkennt
es wird nie regnen
unter Brücken

Welpengesänge adern
zeitlose Risse
durch die Dinge
Und Körper
um Körper
geben sie dir
die Stille frei
die du als Geisel
so roh
hast bewacht
in deinem verwundeten Herzens

Welpentage haften wie
rosa Blütenblätter
an deinen verdreckten Stiefeln
und wie taumelnde Flocken
hellen Hundehaarflaums
verirren sie sich
auf deine nachtblaue Bluse
Lass sie ruhen!
Von nestbauenden Vögeln begehrt
gehst du durch die Stadt und vom Licht
sterbender Sternen verregnet
singen dir die Vögel ihre Lieder
patrouillieren dich Abendpfauenaugen
zu den tiefsten Verstecken
der Seele
wo dir meersalzene
Blumen erblühen
an den von den Rüden
hart markierten Hausecken

Welpenmilchgeruch durchtränkt deine Seele
und vom Grossen Traummacher verführt
formen dich deine Träume
in den Sandformen der Nacht
als wärst du bitterfeuchter Lehm
stillen sie dich
an den zitternden Zitzen
des Sternbilds
Mamma Lupa
das seit jeher
namenlos
den Himmel ziert
Gib`s endlich zu!
Du hast es immer gewusst
zuerst die Milch
dann die Brust
Dein Innerstes
ist doch immer nur Schmerz
und Sehnsucht

Süsser Zitzenkrieg an der Front
Wesen sanft und heiss wie Hundstage
kämpfen in tiefstem Entzücken
und stürzen weg
wie gefallene Krieger
während du über die Sonnenaufgänge
deiner verlorenen Nächten
stolperst

Welpentage
sind so licht
du siehst sie nur im Dunkeln
und dann bleibt dir nichts
als zu lauschen
dem ewigen
Wölfen
des Grossen Hunds

Welpentage
rasende Tage
gehen so schnell weg
fallen dir ins Herz
fallen dir
aus der Hand
und du erwachst
mit einem Hund
an der Seite
der dich
über eiserne Grenzen leitet
in die Wildnis
deines Herzens

Welpentage heisst Welpenwägen
Das unmessbare Leben messen
deiner masslosen Liebe

Ich bin dieser Augenblick

Für Mika

Wenn sich mir der Wolf zuneigt
mit der Maske des Waschbären
und begierig das Salz
aus meinen Augen leckt
dann sind die Tränen
die ich ob seiner schieren Schönheit vergiess
in Wahrheit nie geflossen

Wenn er sich nachher
zum Teelöffel schleicht
und sich den Honig nimmt
dann ist er mir so nah
wie mein Schatten mir niemals sein kann

Ich bin dieser Augenblick
in der Blockhütte draussen
jenseits des mächtigen Himalayas
wo sich der Sturm seit Jahrtausenden verschanzt
und habe eben die Fenster ausgehackt
behutsam
damit er die Scheiben nicht zerbricht

Ich bin dieser Augenblick
erwacht im Holzkristallpalast der Seele
erleuchtet nur von Kerzenlicht
ein jahreloser Greis
auf purpurnem Sofa
durchscheinend hell
wie ein herbstlich Ahornblatt
hindert mich am Sterben
allein der Stolz
auf die nicht unbeachtliche Sammlung
mumifizierter Buddhas
im obersten Bücherregal

Während mein weit geöffnetes Auge
keinen Haarbreit Unterschied ausmacht
zwischen dem Blau der Ikea-Tasche an der Holzwand
und dem Blau der blauen Stunde
die der blanke Himmel schlägt
sieht es meine Schuld
bis in alle Ahnen klar

Und von einem Atemhauch umfasst
versengt in der Glut meines  Herzens
ein weisses Papier

Sämtliche Liebesbriefe
meines Lebens
sind im lieblichen Zwinkern
eines Augenblicks
gelöscht

All meine Liebeslieder
fallen
von meinen Geliebten
Lidern

Wie schön!

Ich bin dieser Augenblick

Ich bin der Geliebte!

Mein Lied

Ein Mann sitzt in einem Labor
und macht aus seinem Leben ein Lied
Eine Amsel sitzt auf einem Ast
und singt ein Lied

Ich nehme ihr Lied
und widme es dir
Und du verwechselst das immerzu
Die Intimität mit deiner Geliebten
mit der Intimität deiner Geliebten

Unwohl wohne ich in meiner Haut
Sie dehnt sich aus
wird zu Gottes Haut
Ekstatisch fallen die Regentropfen retour

Und ein Mann geht durch die Stadt
mit einer Bombe im Herzen
Alles ist nichts
und aus dem Nichts
explodiert das Leben

In jedem Augenblick
find ich im Nichts das Alles
und in allem das Nichts
Und stelle mich meiner Nachbarin vor
Ich bin der Mann der Frau

Mit der zuckenden Pfote des träumenden Hundes
hat mich die Wahrheit berührt
Und federnd im Gewicht des Taugenichts
spielen meine linken Hände
am dunklen Ende des Klaviers
mein Lied

 

Bild: Mein Lied Gouache auf Papier, 1992

Die Blumen von Lila

Für Lila

Ich schenke dir Blumen
Lila blühende Blumen
deren Schönheit
dich so berührt
dass du sie essen kannst

Und wenn du sie isst
essen sie dich
und zeigen dir
hinter der Bühne
dieses Grosse Spiel

 

Lila (Sanskrit: लीला Līlā [ˈliːlaː] „Spiel, Belustigung“) ist ein Begriff aus dem Hinduismus, der ein theologisches Konzept beschreibt. Lila bezeichnet das göttliche Spiel, in dem die Gottheit die Schöpfung als Spiel ansieht und dadurch radikale Freiheit und Spontaneität zeigt. Der Begriff stammt aus dem Brahmasutra. Später wurde nicht nur die göttliche Kreativität als Lila angesehen, sondern auch andere Erscheinungen wie Shivas kosmischer Tanz und Kalis Wildheit.