Über das Aufblühen

Nur wenn einem Gedanken gestattet wird, sich voll zu entfalten, kann er sich auf natürliche Weise auflösen. Wie eine Blume im Garten muß der Gedanke blühen können, muß Frucht tragen und dann sterben. Und so, wie man den Gedanken erlauben muß, sich zu entfalten, so muß man ihnen auch gestatten, zu sterben. Die richtige Frage lautet: Ist es möglich, der Frustration soviel Raum zu geben, daß sie aufblühen und verwelken kann?
Schau in den Garten, betrachte dir die Blumen dort! Sie blühen, und nach ein paar Tagen welken sie dahin, das ist ganz natürlich. Und ich sage, man muß auch der Frustration die Freiheit geben, vollständig aufzublühen.
Gibt es eine Selbstreinigungskraft, einen Antrieb, sich selbst zu reinigen und gesund zu erhalten? Diese Kraft, diese Flamme, kann nur wirken, wenn wir allem die Freiheit lassen, aufzublühen, sich zu entfalten, dem Häßlichen, dem Schönen, dem Bösen, dem Guten, dem Dummen -, damit auch nicht das Geringste unterdrückt wird, damit nichts unter der Oberfläche verborgen bleibt, sondern alles ans Licht geholt und verbrannt wird. Und das kann nur geschehen, wenn ich Frustration, Unglücklichsein, Trauer, Konflikt, Dummheit und Stumpfheit wirklich untersuche. Wenn ich mich nur rational mit diesen Zuständen auseinandersetze, werde ich niemals wissen, was sie wirklich bedeuten.
Die meisten Menschen bleiben im Unwesentlichen, in den kleinen Dingen gefangen. Kann ich das Symptom sehen, es bis zu seiner Ursache zurückverfolgen und die Ursache sich entfalten lassen? Aber ich will, daß es sich in eine bestimmte Richtung entwickelt, was bedeutet: Ich habe eine Vorstellung davon, auf welche Weise es sich entfalten soll. Können wir das noch ein wenig weiter verfolgen? Kann ich sehen, daß ich die Ursache am Aufblühen hindere, weil ich Angst habe, weil ich nicht weiß, was geschehen wird, wenn ich zum Beispiel meiner Frustration erlaube, aus dem Unbewußten aufzusteigen und Raum einzunehmen? Kann ich mir anschauen, wovor ich Angst habe? Ich kann sehen, daß kein Aufblühen stattfinden kann, solange die Angst da ist. Also muß ich mich zuerst mit der Angst auseinandersetzen. Nicht, indem ich mich mit meiner Vorstellung davon beschäftige, sondern, indem ich mich mit ihr als Tatsache auseinandersetze. Kann ich also der Angst erlauben, aufzublühen?
All das erfordert ein hohes Maß an innerer Achtsamkeit. Der Angst erlauben, aufzublühen - weißt du, was das bedeutet? Kann ich allem erlauben aufzublühen? Das heißt nicht, daß ich jemanden umbringen oder ausrauben werde -, aber kann ich einfach das, „was ist“, aufsteigen und sich entfalten lassen.
Habt ihr schon einmal eine Pflanze gezogen? Wie macht man das? Benutze den richtigen Dünger und die richtige Saat, bringe sie zur rechten Zeit in die Erde, kümmere dich um den Schößling, achte darauf, daß nichts ihn zerstört, und gib ihm dann die Freiheit zu wachsen. Warum tust du nicht das gleiche mit - Eifersucht? Das Aufblühen der Gefühle ist nach außen nicht sichtbar wie eine Pflanze, aber es ist noch viel realer als die Pflanze, die du draußen auf dem Feld pflanzt. Weißt du, was Eifersucht ist? Sagst du in dem Moment, in dem du eifersüchtig bist, es ist nur Einbildung? Sie brennt in dir wie ein Höllenfeuer, nicht wahr? Du bist wütend, voller Zorn, warum schaust du es dir nicht an? Nicht rational, nicht als Vorstellung, sondern wirklich. Kannst du das Gefühl aufsteigen lassen, es anschauen und sehen, wie es wächst? So daß jedes Aufblühen zu seiner eigenen Zerstörung führt und deshalb am Ende kein „Ich“ übrig ist, das fragen kann, wer die Zerstörung beobachtet? Darin liegt wahre Kreativität.
Nehmt eine Knospe, eine Knospe, die an einem Busch wächst. Wenn man sie abknickt, wird sie niemals blühen, sondern schnell absterben. Wenn man sie aber aufblühen läßt, zeigt sie ihre Farbe, ihre feinen Blätter, den Pollenstaub. Sie zeigt uns ihr wahres Gesicht, ohne daß uns jemand sagen muß, sie ist rot, sie ist blau, es ist Pollenstaub. Sie ist da, damit wir sie anschauen können. Wenn ihr eure Eifersucht auf die gleiche Weise aufblühen laßt, dann zeigt sie euch, was sie in Wirklichkeit ist - nämlich Neid, Abhängigkeit, Verhaftung. Wenn man die Eifersucht also aufblühen läßt, dann zeigt sie all ihre Farben, alles, was dahintersteckt. Zu sagen, Abhängigkeit ist die Ursache von Eifersucht, ist reines Verbalisieren, aber wenn man der Eifersucht erlaubt, aufzublühen, wird die Tatsache, daß du von etwas abhängig bist, verhaftet bist, zu einer spürbaren Realität, einer emotionalen Realität, nicht zu einer intellektuellen, rationalen Vorstellung. Und so enthüllt jedes Aufblühen die Dinge, die du bisher noch nicht entdeckt hattest, und während jede dieser emotionalen Realitäten sich enthüllt, blüht sie auf, und du kannst dich damit auseinandersetzen. Du läßt sie einfach aufblühen, und sie öffnen andere Türen, bis du dich mit allen auseinandergesetzt hast, und dann verschwinden auch die Ursachen und die Motive.

J. Krishnamurti On Flowering

Was ist das Leben?

Was ist das Leben? Es ist das Aufleuchten eines Glühwürmchens in der Nacht. Es ist der Hauch eines Büffels im Winter. Es ist der kleine Schatten, der über das Gras huscht und sich im Sonnenuntergang verliert.

Crowfoot, Wortführer der Blackfootindianer,
kurz vor seinem Tod im Jahre 1890

Wahrheit

Wer Liebe von dir verlangt, dem gib Wahrheit.
Erbitte nicht Liebe von den Menschen, erbitte Wahr­heit.
In der Wahrheit erkenne die Liebe; in der Liebe su­che die Wahrheit.

Aus: Safi Nidiaye Die Stimme des Herzens

Wut

Wütend zu sein, ist ein erbärmlicher, leidvoller und (selbst)zerstörerischer Zustand, in dem ich ausser mir bin. Meine Wut bewusst zu fühlen, gibt mir jedoch Kraft, Klarheit und Würde.

Safi Nidiaye

Der Zungenkuss

Einssein ist Wirklichkeit und Getrenntsein ist Wirklichkeit. Es ist eine Frage der Ebene, von denen aus du die Welt betrachtest. Empfindest du dich als körperliches Wesen, so erlebst du dich und deinen Geliebten als getrennt; im Herzen jedoch kannst du Verbundenheit erleben, die sich aus einer tiefen gemeinsamen Quelle des Seins nährt. Allerdings kannst du dem Schmerz des Getrenntseins nicht entrinnen, indem du dich auf die Ebene des Herzens begibst; der Schmerz ist vielmehr das Tor, das du durchschreiten musst, um ins Herz zu gelangen. Gibst du dich deinem Schmerz bewusst und ohne Gegenwehr hin, trägt er dich in die Wirklichkeit von Liebe, Schönheit und Verbundenheit hinein.

Safi Nidiaye

Bild: Der Zungenkuss  Ölkreide auf Papier, gezeichnet im Alter von 5 Jahren, stellt wohl meine Eltern dar.

Kleine Kreuzigung

Ihr macht einen grossen Fehler, wenn ihr Gott nur für das Schöne und Gute dankt, das er euch antut, ihr müsst ihm auch für das Schlechte und den Schmerz danken.

Shri Ramana Maharsi

Bild: Kleine Kreuzigung Bleistift auf Papier, 1987

Maya ist gegangen

Narada, ein halb göttlicher, musizierender Bettelmönch, reiste der Legende nach unablässig umher und verbreitete den Klatsch aus der Götterwelt unter den Göttern. Begierig, etwas über das Geheimnis von Vishnus Maya zu erfahren, näherte er sich Vishnu, als dieser sich in einem Hain ausruhte. Nach der Begrüßungszeremonie fragte Narada den Gott der blauen Wasser nach dem Geheim­nis seiner Maya, des Schleiers der Illusion, der die Welt des Menschen und seine Handlungen bedeckt. Vishnu willigte ein, Narada zu lehren, aber zuerst, so sagte er, solle Narada ihm etwas Wasser holen, denn er sei durstig. Narada ging in den Wald, um nach einem Gehöft Ausschau zu halten. Nach einiger Zeit kam er zu einem Haus und klopfte an die Tür. Eine bezaubernde schöne junge Frau öffnete und lächelte ihn aus ihren großen Lotosaugen an, während sie sich an­schickte, das Wasser zu holen. Narada war betört und trieb sich tagelang in ihrer Nähe herum. Die Zeit verging. Narada heiratete die Angebetete, und Jahr um Jahr wurde ein Kind geboren. Narada lebte voller Glückseligkeit mit seiner Frau und seinen Kindern. Doch dann kam ein Jahr, in dem es unaufhörlich regnete. Der Fluß trat über die Ufer, und eine riesige Flutwelle riß Naradas Haus und die umstehenden Bäume weg. An einer Hand seine Frau, an der anderen ein Kind haltend und mit einem weiteren auf dem Rücken watete Nara­da durch das Wasser, um auf höher gelegenes Gelände zu kommen. Aber schon bald reichte ihm das Wasser bis zur Brust und schließlich bis zum Kinn. Eines nach dem anderen wurden die Kinder, die sich an ihn geklammert hatten, weg­gerissen, bis nur noch seine Frau übrig war. Es war Nacht, und die Dunkelheit trug noch dazu bei, sein Entsetzen zu steigern. Das Wasser stieg immer noch, und schließlich wurde auch seine Frau, die sich nicht mehr festhalten konnte, weggeschwemmt. Narada, nun ganz allein, erhob die Arme gen Himmel und rief verzweifelt nach den Göttern. Plötzlich hörte er eine Stimme: »Zehn Minu­ten sind vergangen. Wo bleibt mein Glas Wasser?«

Aus: Pupul Jayakar Krishnamurti: Ein Leben in Freiheit

Als ich heute nach erfolgreicher Jagd wieder heim Richtung Bluemli fuhr - mit immerhin 10 kg Fleisch als Beute (http://www.buonviando.ch/) - , kam ich in ein gewaltiges Gewitter. Es flutete dermassen heftig vom Himmel, dass fast alle Autos anhielten und auf den Gehsteigen sicheren Boden unter den Rädern suchten. Mit unserem alten Vierradantrieb ging es nur noch im Schritttempo durch die Gischt aufwerfende Wasserstrasse vorwärts.

Abends kam dann die Familie, die sich Maya ausgesucht hatte, um sie als erste der Welpen in ein neues Daheim überzusiedeln. Sie heisst jetzt Nala (die Löwin), was auch sehr gut zu ihr passt.

Den Namen Maya habe ich ihr wegen obiger Geschichte gegeben. Es ist eine meiner Lieblingsgeschichten, die mich schon fast dreissig Jahren begleitet. Sie hat mir immer grossen Eindruck gemacht. Als ich noch jünger war, musste sie allerdings dazu hinhalten, meine Tendenz zur Weltflucht zu legitimieren. Wenn das Leben so schrecklich ist, sagte ich mir, dass man alles Schöne und Liebgewonnene verlieren wird und zu guter Letzt auch noch mit dem eigenen Tod von allen verlassen wird, dann gibt es nur eine Lösung: So viel erfolgreiches Meditieren wie möglich, um Maya zu erkennen!

Mit den Jahren - und mit viel Meditieren, noch mehr Therapie und noch viel mehr glücklichen und unglücklichen Leidenschaften - realisierte ich allmählich, dass ich diese Geschichte falsch verstanden hatte. Denn Vishnu lässt Narada Maya erkennen, indem er ihn direkt in ihre Arme schickt; und Maya ist nichts anderes als das Leben selbst.

Deshalb ist die Freude der neuen Besitzer, mit der sie heute Maya liebevoll als Nala in ihr neues Daheim mitgenommen haben, jetzt auch meine.

Und natürlich wäre diese Freude nie so süss, wenn ganz nah neben ihr nicht auch die Trauer läge, darüber, dass das erste Welpchen uns verlassen hat, um jetzt in einem neuen Rudel ein eigenes Leben zu führen.

Nala und Noam

Heute ist Kaya`s dritter Geburtstag

Merle's Art, mit Enttäuschungen umzugehen und Wut zu verarbeiten, war in meinen Augen vorbildlich, denn er weigerte sich, sich von solchen Emotionen beherrschen zu lassen. Er hielt sie einfach einen Moment fest, so wie unsere Berge an ihrem Wetter festhalten, und liess sie dann über sich hinwegrollen und entschwinden.

Aus: Ted Kerasote Merle's Tür

Angst

Anscheinend geschieht die Trennung für das Baby, wenn die Mutter plötzlich nicht nur eine andere Form seiner selbst ist, sondern zu einer Mutter wird - zu einer Person da draussen, die Klaus oder Suzanne zu ihm sagt. Dieser erste Augenblick, wo plötzlich der Glaube auftaucht: "Ich bin ein Individuum - ich bin hier draussen allein", führt zu massiver Angst. Massive Angst geht mit dem Gefühl einher, in einer fremden Welt zu sein, getrennt zu sein.
Und solange die Trennung nicht verfliegt, herrscht Angst. Der verrückte Witz ist natürlich, dass die Angst, die wir verspüren, der Geliebte ist; die Angst, die wir verspüren, ist die Einladung. Es muss Angst herrschen, weil diese Angst in Wirklichkeit natürlich der Geliebte ist.
Die Angst ist ein Gefühl hier drinnen - sie ist die Lebendigkeit. Und die Geschichte darum herum ist Quatsch. Die Geschichte, "Werde ich pleite gehen?" oder "Liebt sie mich noch?" ist nur eine Information. Die Angst ist einfach nur Angst. Und die Angst sagt:"Komm nach Hause!"

Du kommst nicht mit der Angst klar - hier fällt alles Klarkommen weg. Es gibt kein Klarkommen, aber die Angst ist da, also ist die Angst das, was auftaucht. Punkt. Ende.
Solange ein Gedanke da ist: "Das hier ist Angst, ich fürchte mich - ich muss etwas tun.", solange bleibt die Geschichte am Laufen und die CD dreht sich weiter: "Er liebt mich nicht", oder was auch immer. Aber wenn du es einfach lässt, hier drin, nicht wahr? (Zeigt auf den Solar Plexus) - dieses schwarzgrüne Brennen und all das...Wisse einfach, dass dort drinnen etwas ist und sieh es einfach."

Aus: Tony Parsons - DAS IST ES

Noam trägt das lila Blütenblatt

Warum lieben wir - oder wenigstens einige von uns - unsere Hunde? Warum habe ich Brenin geliebt? Ich möchte glauben - und hier muss ich wieder zu einer Metapher greifen -, dass unsere Hunde etwas in den tiefsten Winkeln eines längst vergessenen Bereiches unserer Seele anrühren. Dort verweilt ein älterer Teil von uns, der schon dort war, bevor wir Affen wurden. Es ist der Wolf, der wir einst waren. Dieser Wolf weiss, dass Glück nicht in der Berechnung zu finden ist. Er weiss, dass keine wirklich bedeutungsvolle Beziehung je auf einem Vertrag basieren kann. An erster Stelle steht die Loyalität, und das müssen wir beachten, auch wenn der Himmel einstürzt. Berechnung und Verträge kommen stets später, denn der äffische Teil unserer Seele geht aus dem wölfischen Teil hervor.

Aus: Mark Rowlands Der Philosoph und der Wolf

Lila, die Sechstgeborene,

From the withered tree, a flower blooms.

Shoyo Roku

Lila, die Sechstgeborene, hat heut Nachmittag auch einen guten Platz gefunden. Sie heisst jetzt Aiyana (Indianisch: "Ewige Blüte"). Sie wird ca. Mitte Juni abwandern.

In der Schönheit ist immer die Liebe versteckt.

Schönheit ist Ausdruck der Liebe. Schönheit ist der Ruf, mit dem die Liebe das Herz weckt. Schönheit berührt die Herzen und öffnet die Herzen, und Schönheit ent­springt dem Herzen aller Dinge selbst.
In der gewaltigsten wie in der winzigsten Äußerung von Schönheit ist die Liebe zu finden; in der Schönheit des Sonnenaufgangs wie in der Schönheit einer Blüte, ei­nes Steins, eines Fliegenflügels; in der Schönheit eines Lächelns, einer Handlung, einer Geste; in der Schönheit der Bewegung von Blättern und Wogen, Wolken und Meer, im Flug der Amsel wie im Sprung des Jaguars.
In der Schönheit ist immer die Liebe versteckt.
Liebe ist das Verborgene; Schönheit das Offenbare.
Wenn die Schönheit einer Blume dein Herz berührt, dann deshalb, weil du die Liebe fühlst, die in ihr Aus­druck findet.
Hänge dein Herz nicht an die Blume, die morgen verwelkt; hänge es an die Liebe. Liebe die Blume; pfle­ge und ehre und achte sie; fühle ihr Leben und fühle ihr Sterben; aber hänge dein Herz nicht an sie.

Safi Nidiaye, Die Stimme des Herzens, ISBN: 978-3-404-70153-7