Der verrückte König

Beziehungen sind normalerweise kein Meditationsobjekt. Daher gibt es Meditationsformen, die durch besondere Versprechen erweitert werden; zum Beispiel verspricht der Meditierende in dem berühmten Boddhisattva-Gelübde, daß er auch nach der Erleuchtung auf der Erde bleiben wird, zum Wohle aller Menschen.
Es gibt eine schöne Geschichte, die ein solches Versprechen anschaulich darstellt. Ein indischer König träumte einst, daß sein Volk durch einen giftigen Regen verrückt werden würde. Er warnte das Volk vor der Katastrophe, aber es war umsonst. Als der Regen kam, trank jeder davon und wurde verrückt, wie es der Traum vorhergesagt hatte. Was tat nun der König? Auch er trank von dem Wasser, damit er bei seinem Volk bleiben konnte, und auch er wurde verrückt.
Diese Geschichte von dem mutigen König ist ein Bild für diejenigen, die diese Welt verlassen wollen, die der Wahnsinn dieser Welt depressiv und müde gemacht hat und die den Sinn des Lebens nicht mehr sehen können. Die Geschichte enthält aber noch eine subtilere Botschaft. Der König war nicht nur mutig, er war auch einseitig. Als König mag er erleuchtet gewesen sein, aber als gewöhnlicher Mensch war er es nicht. Deshalb mußte er in das alltägliche, gewöhnliche Leben zurückgehen, um auch hier Erleuchtung zu erlangen. Er mußte die Erleuchtung aufgeben, um ganz bewußt erfahren zu können, wie verrückt er werden würde, wenn er Alltagsproblemen begegnete, wie Geldverdienen, Sorgen um die Kinder, Einkaufen in überfüllten Geschäften und Ertragen von Freude und Spannungen in seinen Beziehungen.
Der Entschluß des Königs, das Gift zu trinken, ist der Entschluß, in Samsara, den Strudel dieser Welt einzutreten. Es ist erschreckend, aber auch wichtig zu erkennen, daß die Erleuchtung den König nicht von seiner Verrücktheit in der Welt befreit. Wahre Erleuchtung heißt, diese Welt zu betreten und genauso verrückt zu werden wie wir alle! Viele spirituelle Führer können uns bei unseren weltlichen Problemen nicht helfen, weil sie ihre eigene weltliche Verrücktheit nicht aus-reichend durchlebt haben. Alle Achtung also vor dem indischen König!
Entweder bleibst du also freiwillig hier, um den anderen zu helfen, oder du wirst unfreiwillig dazu gezwungen werden. Die Welt macht dich vielleicht depressiv, und du würdest am liebsten deinen Körper und diesen Planeten verlassen. Du willst auch nicht die Verrücktheit dieser Erde in dich aufnehmen. Aber die meisten von uns haben keine Wahl: wir müssen dies alles durchmachen. Wir müssen alle diese Luft einatmen und den sauren Regen trinken, und wir müssen alle in der Spannung zwischen Krieg und Frieden leben.
Don Juan Matus, Carlo Castanedas Lehrer, würde sagen, daß die Welt für den an seiner Selbstwerdung arbeitenden spirituellen Krieger vollkommen in Ordnung ist, so wie sie ist. Eine wirklichkeitsnahe Erleuchtung unserer Zeit ist eine politische Aktivität, sie hat eine Beziehung zur unmittelbaren und zur ferneren Umgebung.

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Relationship is not normally an object of meditation. Thus, many meditation procedures are supplemented with special oaths such as the famous Bodhisattva vow which ensures that after achieving enlightenment the meditator remains on the human plane for the benefit of other people. According to Buddhist tradition, the initiate pledges that he will not go into samadhi but will stay here for others and help them until they too can leave with him in the direction of freedom.
There is a beautiful story exemplifying this pledge. A wise and enlightened Indian king once dreamed that his people would be poisoned and driven mad by evil rains. He warned his people about the coming catastrophe, but to no avail. When the rains came, everyone drank and went crazy, as predicted in his dream. So what did he do? He drank the water as well in order to be with them, and he went crazy too.
This story about the courageous king is a metaphor for those who want to leave this world, who have become depressed and tired of its madness and cannot see the purpose of living any longer. There is, however, a subtler message to the story. This king was not simply courageous; he was also one-sided. He may have been enlightened as long as he was a king, but not as an ordinary man. He therefore had to go back to ordinary, everyday life to become enlightened there as well.
For the king to leave enlightenment he needed consciously to experience how crazy he became when he encountered everyday problems such as earning money, caring for the kids, shopping in a crowded store, and staying in the joy and tension of relationships.
The king's decision to drink the poison is the decision to enter samsara, the whirlpool of this world. It is frightening and important to realize that the king's enlightenment does not free him from worldly insanity. Real enlightenment means entering this world and becoming as crazy as the rest of us! Many spiritual leaders cannot help us with worldly problems because they have not sufficiently experienced their own worldly madness. Hurrah for the Indian king!
Either you voluntarily take the vow of the Bodhisattva and remain here to help others, or else you will be forced despite yourself to become a Bodhisattva. The world may depress you, you may want to leave your body and this planet, you may not want to drink the insanity of this earth, but most of us have no choice; we have to do these things. We all have to breathe the air and drink the acid rain. We all have to live in the tension of war.
Don Juan would say that the world is just perfect for the spiritual warrior interested in becoming himself. A realistic enlightenment today is a political activity; it entails a relationship with both the immediate and the distant environment.

Arnold Mindell Working on Yourself Alone/Traumkörper und Meditation

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